Gestern hat sie beim Spazierengehen noch den netten Nachbarn von nebenan gegrüßt, heute geht sie schon an der tausendsten Person vorbei, ohne diese auch nur anzuschauen. So in etwa ergeht es der 19-jährigen Mariella im August 2023, als sie die Kleinstadt, in der sie den Großteil ihres bisherigen Lebens verbracht hat, endgültig hinter sich lässt und mit ihrem Freund zum Studieren nach Wien zieht.
Traumjob seit Kindheitstagen
„Ich wollte allgemein schon seitdem ich zehn war Lehrerin werden.“
Bereits mit zehn Jahren ist Mariella eins ganz klar: Eines Tages wird sie selbst Lehrerin sein und junge Menschen durch ihre Schullaufbahn begleiten. Ihre soziale und hilfsbereite Ader zeigt sich schon im jungen Alter. So hilft sie während ihrer ganzen Schulzeit regelmäßig ihren Freundinnen und ihrem jüngeren Bruder bei Schulaufgaben und teilt hilfreiche Lerntipps. Vor allem in den Fächern Deutsch, Englisch und Pädagogik ist sie für ihre Mitschüler*innen insbesondere in der Oberstufe Ansprechperson Nummer eins. Nur, dass sie den Weg zu ihrem Traumberuf rund 900 km entfernt von ihrem damaligen Zuhause antreten wird, weiß Mariella zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Welche Uni ist die beste?
Diese Frage stellen sich Mariella und ihr Freund Anfang 2023 nicht nur einmal. Gemeinsam mit ihrem Freund – die beiden führen zu diesem Zeitpunkt bereits über zweieinhalb Jahre eine Fernbeziehung – wägen sie ihre Optionen ab. „Wir […] haben uns eine Liste mit Unis zusammengeschrieben.“ Der Numerus Clausus in vielen deutschen Universitäten, stellt für Mariella kein Problem dar. Die entscheidenden Faktoren sind viel mehr Wohnungskosten, Studiengebühren, Wohlbefinden in der Stadt sowie Eindruck und Ranking der Universität selbst. All diese Komponenten kristallisieren Wien schlussendlich als Gewinner heraus. Mit dieser Entscheidung beginnt Mariellas Weg von der deutschen Kleinstadt Delbrück in die Zwei-Millionen-Metropole Wien.
Kein Zurück mehr
Im März 2023 folgen der Entscheidung in Wien zu studieren Taten. Mariella meldet sich online bei der Universität für ihr Traumstudium Lehramt mit den Fächern Deutsch und Englisch an. Kurz darauf stellt sie ihren Antrag auf Auslandsbafög. Heute ärgert sich Mariella über diese Entscheidung, denn was sie damals noch nicht weiß: Sie hat auch Anspruch auf die österreichische Studienbeihilfe. „[…] dann werd‘ ich halt irgendwann in den nächsten Jahren eine Rechnung in Höhe von 10.000 Euro bekommen […]“, erzählt die mittlerweile 21-Jährige mit einem leicht frustrierten Lachen. Im Gegensatz zur österreichischen Studienbeihilfe muss das deutsche BAföG nämlich zu Teilen, aber maximal 10.000 €, nach dem Studium zurückgezahlt werden. Da sie aber bereits über den Höchstbetrag hinaus ist, lohnt sich die Umstellung auf das österreichische Pendant nicht mehr.
Im Mai desselben Jahres besichtigen Mariella und ihr Freund insgesamt drei Wohnungen in Wien. Die dritte Wohnung passt den beiden perfekt und diese bekommen sie dann auch. „Ich war sehr glücklich, dass wir so schnell eine Wohnung finden konnten, das hat mir ein Gefühl der Sicherheit gegeben.“ Zu dieser Zeit findet Mariella außerdem einen Job als Kellnerin für den Sommer im Nachbardorf ihres Freundes in der Steiermark. Während Mariella sich um ihre Zukunft in Österreich kümmert, lernen ihre Schulkolleg*innen für ihr Abitur. So kommt es, dass sie auch zu dieser Zeit immer wieder via WhatsApp einigen Freundinnen Pädagogiktheorien erklärt. Dafür nimmt sich Mariella auch in stressigen Phasen ihres Lebens immer gerne Zeit.
Vienna Calling
Im Sommer ist es dann schließlich soweit und Mariella zieht nach Österreich, vorerst für einen Monat zu ihrem Freund und dessen Mutter in die Steiermark, um dort das erste Geld für die neue Wohnung zu verdienen. Bei über 30 Grad bringt sie teilweise länger als acht Stunden pro Tag in langer Hose Essen und Getränke zu den Gästen. Nachdem sie den anstrengenden Juli überstanden hat, geht es im August endlich in die wohlverdiente eigene Wohnung in der Hauptstadt des Landes. Doch angefangen mit Verunsicherung über den eigenen Krankenversicherungsstand kommen nun die ersten bürokratischen Hürden auf.
Durch ihre Vollzeittätigkeit in der Steiermark denkt die Versicherung ihres Vaters plötzlich, dass kein Bedarf für eine Familienversicherung besteht. Nach anfänglichem Schock, nicht versichert zu sein, gibt es aber schnell Klarheit und Beruhigung. Nachdem Mariella der Versicherung telefonisch bestätigt, dass sie nur einen Monat Vollzeit gearbeitet hat und ab jetzt in Wien studiert, ist sie wieder bei ihrem Vater mitversichert. Doch damit ist es nicht getan, denn erst muss Mariella zur ÖGK, um ihren Anspruch auf Versicherung geltend zu machen. Diese übernimmt die Dienstleistungen der deutschen Versicherung in Österreich. So kann Mariella, auch wenn etwas umständlich, eine E-Card bekommen. „Etwas befremdlich“ empfindet Mariella den Fakt, dass sie, um ihre E-Card zu bekommen, einen Termin bei einem Polizeikommissariat ausmachen muss.
Direkt, nachdem Mariella mit ihrem Freund in ihre neue Wohnung einzieht, meldet sie sich im Amtshaus ihres Bezirks in Wien an. Dort teilt ihr eine nette Mitarbeiterin mit, dass sie zusätzlich noch eine Aufenthaltsgenehmigung bei dem Magistrat 35 für Einwanderung und Staatsbürgerschaft beantragen muss. Dort macht sie ihre wohl bisher schlechteste Erfahrung mit dem Wiener Grant. „Man sagt ja immer Wiener sind unfreundlich, aber die einzigen unfreundlichen Wiener waren tatsächlich in diesem Magistrat.“ Nach einer für Mariella frustrierend langen Wartezeit in dem miserabel ausgestatteten und mit schlecht gelaunten Wienern besetzten Magistrat erhält sie schlussendlich aber doch ihre Aufenthaltsgenehmigung.
Wien als neues Zuhause
„Ich bin sehr, sehr zufrieden, die Stadt ist superschön, die Menschen sind superfreundlich […]“
Inzwischen lebt Mariella seit eineinhalb Jahren in Wien und fühlt sich sehr wohl. Über die Entscheidung für ihren Studiengang, ihre Universität und generell Wien ist Mariella noch immer glücklich. Manchmal vermisst sie aber dennoch die Ruhe ihrer Kleinstadt.
Wien ist ihr neues Zuhause geworden, aber auch Delbrück bleibt in Mariellas Herzen. Zweimal im Jahr besucht sie ihre Familie in der 900 km entfernten deutschen Kleinstadt. Mehrmals pro Woche telefoniert und schreibt sie mit ihren Eltern und Brüdern. Auch mit ihrer besten Freundin, die sie seit der Grundschule kennt, hat sie noch immer sehr viel Kontakt.